Winterlicher Energiesparmodus

Ein aufgeweckter Experte berichtet von verschlafenen Tieren

Nass-kaltes Wetter, grauer Himmel, trostlose, kahle Bäume – Winter kann manchmal ganz schön deprimierend sein! Wenn die Tage kürzer und die Menschen träger werden, ist vielen nach Winterschlaf zumute. Warum nicht einfach, wie viele andere Tiere auch, die dunkle, triste Jahreszeit verschlafen und erst wieder aufwachen, wenn die Knospen an den Bäumen hervorsprießen und kraftvoll Optimismus versprühen?

Von Giraffenträumen und Zieselenergie

Warum Tiere überhaupt Winterschlaf halten, was der Unterschied zur Winterruhe ist und ob auch Menschen den Winter verschlafen könnten, wollen wir anlässlich des kürzesten Tages im Jahr einmal genauer wissen. Praktisch, wenn man Fachleute zu diesem Thema direkt vor Ort hat. Der Kurator für Säugetiere, Dr. Florian Sicks, ist ein wahrer „Schlafexperte“ – allerdings eher im theoretischen als im praktischen Sinn. Er kennt sich unter anderem bestens mit den Träumen von Giraffen aus. In seiner Dissertation untersuchte er das Schlafverhalten von Giraffen – genauer gesagt den REM-Schlaf, also die Phase des Schlafes bei der sowohl wir als auch die Giraffen am meisten Träumen. Für unseren Tierpark-Blog hat er uns unsere brennendsten Fragen zum Thema „Schlaf“ beantwortet.

Herr Dr. Sicks, was genau passiert eigentlich beim normalen Schlaf?

Beim täglichen Schlaf befinden wir uns in einen Ruhezustand. Wir nehmen hierfür eine bestimmte Schlafposition ein und verharren in dieser bewegungslos. Unsere Sinne nehmen nur sehr selektiert Umgebungsreize wahr und unsere Weckschwelle ist erhöht. Solche Ruhezustände finden sich nicht nur beim Menschen, sondern bei allen bislang untersuchten Tieren, von der Biene bis zum Elefanten.

Warum müssen Tiere – inklusive Menschen – überhaupt schlafen?

Der genaue Grund ist bis heute nicht bekannt und sicher eines der großen Rätsel, die die Menschheit noch erforschen kann. Sicher ist, dass alle bislang untersuchten Tiere schlafen, und dass Schlafentzug zu Ausfallerscheinungen und im Extremfall sogar zum Tod führt. Der Schlaf spielt in mehreren Funktionskreisen des Körpers eine wichtige Rolle. So ist er beispielsweise für Lernprozesse im Gehirn unabdinglich und trägt zur Aufrechterhaltung des Immunsystems bei.

Manche Tiere machen darüber hinaus ja auch noch Winterschlaf. Wodurch unterscheiden sich Schlaf und Winterschlaf?

Winterschlaf hat mit dem „normalen“ Schlaf – abgesehen vom Wortstamm und der Bewegungslosigkeit, die vermutlich zu dem Wort geführt hat – nichts gemeinsam. Besonders deutlich wird das durch Beobachtungen, die an winterschlafenden Zieseln gemacht wurden: Ziesel unterbrechen ihren Winterschlaf nur wenige Male. Dann fahren sie unter einem enormen Energieverbrauch den Körper auf Betriebstemperatur, Atmung und Herzrate normalisieren sich. Doch was machen Ziesel so Wichtiges, wenn sie in Zeiten größten Nahrungsmangels so viel Energie darauf verwenden, ihren Winterschlaf zu unterbrechen? Die Antwort ist auf den ersten Blick so erstaunlich wie verwirrend: Sie schlafen! Bei genauerer Betrachtung beider Zustände, ergibt dieses Phänomen aber einen Sinn: Der Winterschlaf ist eine Art Energiesparmodus, in den sich Tiere begeben, wenn extremer Winter zu Nahrungsmangel führt. Herz- und Atemfrequenz werden dann auf ein Minimum heruntergefahren, die Körpertemperatur sinkt um etwa 30°C und liegt nur knapp über dem Gefrierpunkt. Das Tier nimmt dann keine Nahrung mehr auf und die wenige Energie, die es in diesem Zustand benötigt, nimmt es aus den angefressenen Fettreserven. Doch auch bei diesem, auf ein Minimum zurückgefahrenen Energieumsatz entstehen Abfallprodukte. Damit das Gehirn keinen Schaden nimmt, müssen sie abtransportiert werden. Genau dies passiert im Schlaf und scheint der Grund zu sein, weshalb Ziesel (und wohl auch andere Winterschläfer) aus dem Winterschlaf erwachen, um zu schlafen. Energiesparen ist hingegen nicht das Ziel von unserem täglichen Schlaf, sonst wäre dies eine wenig sinnvoll Strategie.

Neben dem Winterschlaf gibt es ja noch den Begriff „Winterruhe“. Gibt es einen Unterschied zwischen beiden und wenn ja, welchen?

Winterschlaf können Tiere machen, die maximal die Größe von Murmeltieren haben, wie beispielsweise Igel, Siebenschläfer oder Präriehunde. Bei größeren Tieren ist es energetisch nicht mehr zu leisten, den völlig herunter gekühlten Körper wieder auf Betriebstemperatur zu „heizen“. Doch auch größere Tiere, wie zum Beispiel Braunbären oder Marderhund, müssen mit dem winterlichen Nahrungsmangel zurechtkommen. Deshalb überdauern Tiere, die größer sind als Murmeltiere, die Zeit mit Winterruhe. Auch in der Winterruhe wird die Herzfrequenz deutlich reduziert, die Körpertemperatur bleibt allerdings fast konstant. Auch die Unterbrechungsphasen unterscheiden sich. Während beim Winterschlaf nur selten eine Pause eingelegt wird, da das hochfahren der Körpertemperatur sehr viel Energie kostet, unterbrechen Tiere in der Winterruhe diese häufig, um von gesammelten Vorräten zu fressen oder um Beute zu schlagen.

Bleibt dieser Instinkt in den Winterschlaf-Modus zu wechseln bei Tieren in menschlicher Obhut, wie zum Beispiel hier im Tierpark, erhalten?

Ja. Tierpark oder natürlicher Lebensraum spielt beim Winterschlaf keine Rolle. Entscheidend ist allein, wie sich die Nahrungsbedingungen entwickeln. Als Zeitgeber fungiert hierbei die kürzer werdende Tageslänge. Ein interessantes Beispiel sind die Präriehunde. Während der Weißschwanz-Präriehund die nördlichen USA besiedelt und sich dort alljährlich in den Winterschlaf begibt, bewohnt der Schwarzschwanz-Präriehund warme Staaten wie Arizona und Texas. Letzterer macht dort keinen Winterschlaf. Hingegen begeben sich die Schwarzschwanz-Präriehunde im Tierpark Berlin meist in den Winterschlaf. Der Berliner Winter scheint ihnen dann doch zu kalt zu sein.

Haben Sie ein Tier, dessen Schlafverhalten Sie besonders fasziniert? Wenn ja, welches und warum?

Besonders faszinierend ist für mich der Schlaf der Meeressäuger. Sie müssen regelmäßig aktiv an die Wasseroberfläche schwimmen, um zu atmen. Sie mussten also eine Strategie entwickeln, die es ihnen erlaubt, dem lebensnotwendigen Schlaf nachzukommen, ohne den Zeitpunkt des ebenso lebenswichtigen Auftauchens/Atmens zu verschlafen. Dies gelingt ihnen, indem sich die Gehirnhälften beim Schlafen abwechseln. Schläft die linke Gehirnhälfte, ist die rechte wach und umgekehrt. Diesen sogenannten Halbseitenschlaf findet man beispielsweise auch bei Zugvögeln.

Biologisch betrachtet sind wir Menschen ja auch nur Tiere. Sind wir also theoretisch auch in der Lage Winterschlaf oder Winterruhe zu halten?

Nein, der Mensch ist viel zu groß, um Winterschlaf halten zu können. Aber auch die Winterruhe ist für uns keine Option. Es bedarf etlicher physiologischer Anpassungen, die nur wenige Tiere im Laufe der Evolution erlangt haben, um den Winter in einem dieser Energiesparmodi zu überdauern. Auch andere bei uns heimische Tiere wie Hirsch, Wildschwein oder Fuchs sind im Winter aktiv.

Schade, aber das Anlegen von Fettreserven über den Winter beherrschen wir ja zumindest schon …vielen Dank für die spannenden Antworten!

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