Kunst am Bau

Die Geschichte hinter „Ein Horn“, eine Skulptur von Adrien Missika

Noch bevor Gäste die neue Nashorn-Pagode im Zoo Berlin betreten, treffen sie auf ein ganz besonderes Objekt. Ein überdimensionales, umgedrehtes Horn, dass die Menschen schon vor der Begegnung mit den lebenden Nashörnern zum Nachdenken anregt. Das Kunstwerk des französischen Künstlers Adrien Missika gewann die Ausschreibung im Rahmen von Kunst am Bau - einem integralen Element der Baukultur in Deutschland und Teil der Bauherrenaufgabe des Bundes. Sie kann entscheidend zu Qualität und Aussage von Bauwerken beitragen, denn sie ist wie die Architektur eine öffentliche Kunst. Sie ist allgemein zugänglich und dauerhaft präsent, sie ist Ausdruck des kulturellen Selbstverständnisses und Spiegel der Schöpfungsgabe eines Landes und damit nationale Visitenkarte.

Kunst am Bau hat eine lange Tradition, die bis in die Weimarer Republik zurückreicht. Seit der Empfehlung des Deutschen Bundestages 1950, bei allen Bundesbauten einen festen prozentualen Anteil der Bausumme für Kunst einzusetzen, sind im Auftrag des Bundes mehrere tausend Kunstwerke entstanden. Zusammengenommen bilden sie eine international einzigartige Sammlung an Nachkriegskunst, die allerdings auf hunderte Standorte in Deutschland und in der gesamten Welt verteilt ist. Kunst am Bau muss bestimmten Kriterien genügen: Erwartet wird ein eigenständiger künstlerischer Beitrag zur Bauaufgabe, der einen Bezug zur Architektur oder zur Funktion des Bauwerkes herstellt und durch künstlerische Qualität und Aussagekraft beeindruckt. Hierfür lobt der Bund regelmäßig Wettbewerbe aus, die zumeist als offene oder beschränkt offene Verfahren durchgeführt werden.


Wir sprachen mit dem Künstler Adrien Missika über seine Arbeit.

Redaktion: Herr Missika, warum haben Sie Ihren Entwurf für den Wettbewerb Kunst am Bau eingereicht?

Adrien Missika: Ich habe ein großes Interesse an Kunst im öffentlichen Raum. Ich mag es sehr, ein breites Publikum anzusprechen, vor allem Kinder und Menschen, die nicht erwartet haben, auf ihrem Weg Kunst zu begegnen. In meiner Kunst geht es auch viel um Ökologie, daher fand ich den Kontext des Kunst am Bau-Wettbewerbs sehr interessant: Er fand im Berliner Zoo statt, einer legendären Einrichtung, und es ging um bedrohte Arten, und zwar mit einem Schwerpunkt auf dem mächtigen indischen Nashorn! Das war ein so bizarrer und interessanter Kontext, der mein Interesse und meine Fantasie anregte.

Redaktion: Woher kam die Inspiration für dieses Design?

Adrien Missika: Das Design bezieht sich teilweise auf das Rhinozeros Horn, die Umkehrung des Horns (auf dem Kopf stehend) ist eine Anspielung auf einen meiner Lieblingskünstler: Piero Manzoni und sein berühmtes Werk "Socle du Monde" (Sockel der Welt).  Die Löcher in der Skulptur sind eine Möglichkeit, Wildbienen ein Zuhause zu geben und gleichzeitig ein Denkmal für bedrohte Arten zu schaffen, eine Möglichkeit, Nützlichkeit mit Ästhetik, Kunst und Tierarchitektur zu verbinden. Zuvor hatte ich mein erstes dauerhaftes Kunstwerk im öffentlichen Raum in einem biodynamischen Bauernhof in Italien namens Fondazione La Raïa realisiert. Das Kunstwerk trägt den Titel "Palazzo Delle Api", übersetzt "Palast der Bienen". Der Entwurf war eine Art umgekehrte Pyramide aus lokalem Granitstein. Er konnte bis zu 2000 wilde Bestäuber beherbergen und hat sich bestens bewährt. Ein Horn ist eine Weiterentwicklung dieses Entwurfs, der für den Kontext des Nashorns umgestaltet und mit einem deutschen Stein versehen wurde.

Redaktion: Erzählen Sie uns mehr über die Geschichte hinter "Ein Horn"...

Adrien Missika: Ein Horn ist ein autonomes Objekt an der Kreuzung von Kunst, Architektur und Ökologie. Es kann sowohl als Skulptur, als Denkmal als auch als architektonische Lösung für bestäubende Insekten betrachtet werden. Die Skulptur stellt ein auf dem Kopf stehendes, in den Boden gestochenes Horn dar.

Ein Horn bezieht sich auch auf den Karkadann, ein Fabelwesen, das in den Ebenen Indiens und Persiens gelebt haben soll. Es handelt sich um ein Einhorn, das auf dem indischen Nashorn basiert und über bemerkenswerte Eigenschaften verfügt, wie z. B. ein Horn, das mit medizinischen Eigenschaften ausgestattet ist. Ein Horn, ein Horn ohne Körper, erinnert an die Mythen, die zur tragischen Wilderei der Nashornart führten, die fast ausgerottet wurde. Es ruft zur Hoffnung auf Erneuerung und Regeneration für alle bedrohten Arten auf.

Ein Horn besteht ausschließlich aus Dolomit Kalkstein, einem natürlichen Material, das vor Ort in Deutschland gewonnen wird, und ist aus geschichteten achteckigen Steinplattenmodulen aufgebaut. Jede Ebene ist leicht verdreht, aber immer zum Horizont ausgerichtet, wie bei einem Höhenmodell. Diese Technik verleiht dem Gebäude eine futuristische und zugleich organische Ästhetik, die auch die benachbarte Pagode zitiert.

Ein Horn denkt über die Prinzipien des Metabolismus nach, einer japanischen Architekturbewegung der Nachkriegszeit, die Ideen über architektonische Megastrukturen mit denen des organischen biologischen Wachstums verschmolz. Viele Gebäude wurden damals von der Tierarchitektur inspiriert, aber für die menschliche Nutzung angepasst.  Ein Horn, eine modulare Architektur für Insekten, kehrt die Konzepte des Metabolismus um und gibt sie der Tierwelt zurück.

Da es sich bei der neuen Rhinoceros-Anlage um ein Schutzgebiet für bedrohte Tierarten handelt, trägt dieses Kunstwerk zur Unterstützung einiger oft übersehener einheimischer Arten bei. Bestäubende Insektenpopulationen, die für unsere Ökosysteme lebenswichtig sind, werden durch menschliche Aktivitäten stark dezimiert. Die Skulptur nutzt die Möglichkeit, mit ihren verdrehten Ebenen einen potenziellen Zufluchtsort für bestäubende Insekten zu schaffen. Hunderte von Löchern mit unterschiedlichen Durchmessern sind in den Stein gebohrt und unter den überdachten Bereichen angebracht, um sie vor Nässe zu schützen. Sie beherbergen verschiedene Arten von einheimischen Röhreninsekten wie rote Mauerbienen (Osmia sp), Blattschneiderbienen (Megachile sp) oder Glockenbienen (Chelostoma sp).

Die Grundform eines jeden Stockwerks ist ein Achteck, eine geometrische Form, die traditionell Erneuerung, Wiedergeburt, Regeneration und Übergang symbolisiert. Diese Idee der Wiedergeburt wird hier durch ein eingraviertes Wortspiel in französischer Sprache unterstrichen. Le Monde Encore Né" bedeutet wörtlich übersetzt Die wiedergeborene Welt", kann aber auch als Die aufgespießte Welt" (Le Monde Encorné) gelesen werden, die auf der anderen Seite des Randes der obersten Schicht des Achtecks eingraviert ist. In diesem Sinne bezieht es sich direkt auf das ikonische Werk "Socle du Monde" des Konzeptkünstlers Piero Manzoni aus dem Jahr 1961: ein großer Metallsockel mit der Aufschrift "The Base Of The World".  Er verkündet, dass die ganze Welt ein Kunstwerk ist. 

Redaktion: Wo können wir andere Werke von Ihnen sehen?

Adrien Missika: An vielen Orten auf dem ganzen Planeten verteilt. Einige meiner Werke sind in Museen wie dem Centre Pompidou in Paris oder dem Kunsthaus Zürich ausgestellt. Ich habe an zahlreichen Biennalen und Gruppen- oder Einzelausstellungen in verschiedenen Kunsträumen (Kunsthalle, Museen, Galerien) teilgenommen. Kürzlich habe ich einen weiteren Kunst am Bau-Wettbewerb gewonnen, so dass eine weitere öffentliche Skulptur bald in Berlin Neukölln im neuen Haus des Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG) zu sehen sein sollte.

Redaktion: Vielen Dank, Herr Missika, dass Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit gegeben haben und für Ihren nachdenklichen Beitrag zur neuen Nashornpagode.

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Heute, 9. Mai
9:00 - 18:30 Uhr
Letzter Einlass: 17:00 Uhr
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